Da verliert man auch den Mut zu allem

Dieser Tage bekam ich völlig überraschend einen Brief von meinem Onkel aus Kanada. Überraschend deswegen, weil er schreibt sonst nie, nie in all den vielen Jahren. Briefe schreiben bei uns in der Familie die Frauen. Ich war also ziemlich baff. Was war geschehen, ich war sofort besorgt, als ich die Mail aufmachte. Und ich war es noch mal, nachdem ich den Brief gelesen hatte. Er schrieb: “Liebe Nichte Marion…lang lang ist’s her. Ich hoffe, Dein Sommer war friedlicher und du hattest mehr Frieden und Spass. Wir alle sind froh, dass dieser Sommer vorbei ist. Nicht nur wegen Corona, ganz B.C. (British Columbia) brannte, brennt noch. Seit der Schnee weg ist, im März, hatten wir 4 mm Regen. und Hitze bis 44°C. Es musste so kommen: wildfire, über 260! Allein bei uns sind 83.000ha verbrannt! Am Mount Lake ist eine kleine Gemeinde verbrannt und das Dorf Lytton in der Fraserschlucht ist total verbrannt. Die Piloten und Hubschrauber haben wahre Heldentaten vollbracht, nur 85 Häuser im bush sind verloren. Wir waren den ganzen Sommer in Anspannung… und im Rauch. Es ist kein Feuer wie man denkt: hier und da flammt eine Fichte und brennende Äste fliegen 100 mtr. weiter, und der ganze Berg brennt von Neuem. Wir hatten Asche, verbrannte Nadeln und Äste überall. So haben wir den Sommer über im Haus verbracht, konnten niemand sehen. Keine Geburtstage, keine Familienfeste. Da verliert man auch den Mut zu allem….”

Was sollte ich ihm antworten? Dass wir stattdessen eine Flut hatten, bei der fast 200 Menschen gestorben sind? Ich las ja, er hatte Angst. Mein Onkel ist das, was man eine Frohnatur nennt. Aber hier war etwas kaputtgegangen. Seine Zuversicht war weg. 

Mich erschüttert das. Unsere Familie wird – wieder einmal – zusammenrücken und Trost spenden, sich gegenseitig helfen. Aber angesichts der verheerenden Katastrophen kann einen selbst manchmal auch der Mut verlassen. 

So kann ich Familie G. aus Erftstadt nur zutiefst bewundern. Sie erinnern mich an meinen Onkel und an meine Tante in Kanada. Weil auch sie so liebenswert und bescheiden sind. Sie haben sich entschieden, wieder in ihr Haus nach Blessem zurück zu ziehen, trotz all der Unwägbarkeiten und der enormen Anstrengungen, die noch vor ihnen liegen. Sie verdienen den höchsten Respekt vor dieser Entscheidung, und unser aller Unterstützung. 

Mein Onkel jedenfalls hat mir diesen ungewöhnlichen Brief geschrieben, da bin ich mir sicher, auch als Appell an mich als Grüne, den Klimawandel zu stoppen und dafür zu sorgen, dass unsere Welt wieder eine bessere wird. 

Damit wir nicht den Mut verlieren. 

 

© Fotos: Alexander Franz

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